Chatbots als Pressesprecher: Kollege Roboter übernimmt dann mal

Erinnern Sie sich noch an den Tankwart? Oder die Datatypistin? Radio- und Fernsehtechniker? Es war schon immer in der Geschichte der Menschheit der Fall, dass neue Technologie die Verfechter des “haben wir schon immer so gemacht, machen wir auch in Zukunft so” vom Platz fegt. Oder um es im Branchenjargon auszudrücken, “disruptiv” wirkt. Der Neandertaler war dem Homo Sapiens im Gebrauch von Werkzeugen unterlegen, der Telegraf hat den glorreichen Pony-Express beerdigt und die Dampfmaschine und mit ihr die Industrialisierung aus Menschen Arbeiter, Geldadel und Konsumenten gemacht.

Jetzt scheint es aber richtig ernst zu werden: Zuerst verbannt die Industrie 4.0 den Menschen aus dem Produktionsprozess, danach geht es dem Dienstleistungssektor an den (weißen) Kragen. Forscher der University of Oxford und der Yale University prognostizieren, dass künstliche Intelligenz in den nächsten zehn Jahren Übersetzer und LKW-Fahrer überflüssig machen wird und es eine 50/50-Chance gibt, dass sie in 45 Jahren alle Aufgaben besser als Menschen bearbeiten kann. In 120 Jahren sollen dann alle menschlichen Jobs automatisiert worden sein.

“Moment!”, werden jetzt einige rufen: “Aber mein Job ist sicher, das kann doch kein Roboter!” Bitte die letzten Sätze noch einmal lesen: Es geht letztlich um JEDEN Job. Ja, auch um Anwälte, Berater, Journalisten, Ärzte und Verwaltungsangestellte oder Beamte. Alle willkommen im Club der zukünftig Überflüssigen!

Auch in unserem ureigenen Metier, der PR, hat die Digitalisierung schon tiefe Furchen hinterlassen. Die Art der Kommunikation und die Tools von heute waren vor zehn Jahren noch kaum vorstellbar. Um einen Eindruck zu vermitteln: Als ich vor etwa 20 Jahren mit PR startete, wurden Pressemitteilungen ausgedruckt und eingetütet, E-Mail war noch eher privat und die Medien erschienen ausschließlich (!) in gedruckter Form.  

Heute können relativ kleine Teams aus Profis und Spezialisten auch große Accounts steuern und die moderne Technologie macht es dabei total egal, wer dabei wo sitzt – nicht zuletzt der Cloud sei Dank! Ich schreibe diesen Beitrag mit einem leckeren Latte Macchiato im Garten in Leverkusen, während mein Geschäftspartner gerade in Norddeutschland in seiner Mittagspause rudert, unsere Assistenz in Bremen im Home Office sitzt, eine Freelancerin (mit exzellenten Deutschkenntnissen) in Rumänien für uns Recherchejobs erledigt und unsere Mitarbeiterin Maren in Sydney den australischen Winter kennen lernt.  

Die US-Plattform govtech.com hat jetzt beschrieben, dass auch die Rolle des Unternehmenssprechers zukünftig von AI-Technologie übernommen wird, der Chatbot als Pressesprecher. Als Technologie soll ein Framework von Microsoft dienen. Dass das mit selbstlernenden Algorithmen und Microsoft-Technik so eine Sache ist, hat der Twitter-Channel @tayandyou im vergangenen Jahr gelehrt. Ziel der Übung war, dass Tay aus der Interaktion mit den Twitter-User lernt (“The more you talk the smarter Tay gets”). Ergebnis war aber, dass die Twitter-Community es in weniger als einem Tag geschafft hat, Tay zu einem “rassistischen Arschloch” (Zitat TheVerge) zu machen. Jetzt ist davon auszugehen, dass die Technologie rasante Fortschritte macht, aber die Vorstellung, dass demnächst jemand im Stile eines Bernd Höcke für einen deutschen Konzern spricht, verspricht schon einiges an Unterhaltungswert. Popcorn ordern!

Apropos Popcorn: Ein schönes Beispiel für Chatbots ohne jede Intelligenz hat gerade Thomas Kuhn in der Wirtschaftswoche beschrieben. Er hat versucht, bei Opel eine Probefahrt zu organisieren:

  •        „Hallo Thomas, ich freu’ mich sehr, dass du dich für eine Probefahrt interessierst! Welches Modell darf es denn sein: Corsa, Adam, Astra, Karl, Mokka X?“
  •       „Hi, ich suche einen Wagen, der größer ist als ein Corsa. Mit ausreichend Laderaum.“
  •       „Corsa, Adam, Astra, Karl, Mokka X?“
  •       „Nicht den Corsa, größer.“
  •       „Wenn du Hilfe benötigst, schreibe direkt unserem Facebook-Team eine persönliche Nachricht!“
  •       „Was kann ich Dich denn fragen?“
  •       „Corsa, Adam, Astra, Karl, Mokka X?“

 

Meine Prognose: So schnell wird die künstliche Intelligenz den Bereich der Unternehmenskommunikation nicht völlig automatisieren. Sicherlich werden mehr Aufgaben digitalisiert und automatisiert, 08/15-Texte werden bspw. vorgefertigt, an Portale verteilt, die das unbesehen veröffentlichen und dann das Suchranking einer Maschine optimieren. Aber so verkauft man keine erklärungsbedürftigen Produkte, solange nicht auch die Kaufentscheidungen zu 100% maschinell erfolgen.

Gut recherchierte Texte und das Einbetten in Kontexte werden noch stärker zu einem Differenzierungsmerkmal. Wer seine Themen verständlicher übermittelt, wird einen Vorteil haben – und nicht der, der auf vier Seiten technisches Geschwurbel ausbreitet, aus dem nur Suchmaschinen Informationen herauslesen können. Am Ende wird dann der Dienstleister auf der Erfolgsspur fahren, der neue Technologien regelmäßig evaluiert und einsetzt, weil sie sinnvoll sind. Und nicht, weil sie neu sind …